46 by Der bittere Kelch

46 by Der bittere Kelch

Autor:Der bittere Kelch [Kelch, Der bittere]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-07-01T08:58:54+00:00


Behutsam umfaßte er das rissige, blutdunkle Holz und nahm Timot das Kästchen aus den Händen.

»Laßt uns keine Zeit verlieren«, sagte er so leise, als fürchtete er, irgend jemandes Ruhe zu stören. »Folgt mir.«

Patnaik verließ, den Blick nicht vom Schlangenstab lassend, den Raum. Ob die beiden Vampire ihm tatsächlich folgten, war für ihn nicht wichtig. Tief in ihm war eine Gier, erwacht, die sich auf sonderbar aggressive Art von seinem gewöhnlichen Wissensdurst unterschied.

Er mußte diese wilde Sucht nach den Geheimnissen des Stabes stillen. Es würde ihm eine Herzenslust sein …

Timot ging dem ›Erwecker‹ mit verwunderter Miene nach.

Tanor verharrte noch einen winzigen Moment. Sein Blick tauchte dort in die Dunkelheit, wo Pooja Bhatt sich sicher glaubte.

Der Vampir wußte nicht, ob ›Erweckte‹ unter einem begehrlichen Blick erschauern konnten wie wirklich Lebende.

Aber wie sonst wäre das kaum merkliche Beben Poojas zu erklären gewesen?

*

Auch in dem Raum, in den Patnaik seine Gäste führte, mühten sich Fackeln vergeblich im Kampf gegen die Schattenschwärze. Die Ein-richtung war so karg, daß sie nicht erwähnenswert war. Nur – leer war die Kammer trotzdem nicht.

Jeder andere Besucher hätte die Handvoll Gestalten, die sich in der Dunkelheit verbarg, nicht gesehen, lediglich das Rascheln ihrer Kleidung, das leise Knirschen ihrer steifen Gelenke vernommen. Und einen Menschen mußte schon diese Empfindung ganz dicht an den Abgrund heranführen, hinter dem der Wahnsinn lauerte.

Die beiden Vampire ignorierten Patnaiks Geschöpfe, mit denen er sich so gern umgab.

»Nun, was ist?« fragte Tanor ungeduldig, nachdem der ›Erwecker‹

jetzt schon seit einer geschlagenen Minute reglos auf die Opferschlange niederstarrte, die noch immer in der Schatulle ruhte.

»Gemach, mein Freund, gemach«, flüsterte er. »Wir müssen uns erst miteinander vertraut machen, ein herzliches Verhältnis schaffen.«

Nach einer Weile ließ Patnaik sich schließlich im Lotussitz nieder, bettete das Kästchen auf seine Beine, und seine Finger tauchten langsam hinein. Mit spitzen Fingern holte er den Schlangenstab heraus, und etwas wie ein Lichtreflex, der seinen Ursprung in Patnaiks Augen haben mußte, züngelte über das Metall.

»Was erkennst du?« fragte Tanor heiser.

Er wußte selbst nicht genau, was er von Sahya Patnaik zu erfahren hoffte. Er wußte alles, was auch die meisten anderen der Alten Rasse über die Opferschlange wußten. Und doch so wenig. Denn alle Kenntnis um den Schlangenstab entsprang nirgends festgeschriebe-nen Sagen und Legenden, war mündlich überliefert worden, und was im Laufe der Jahrhunderte dazuerfunden oder mißverstanden worden war, wußte längst niemand mehr zu klären.

Die Opferschlange, so hieß es, und das durfte wohl als Fakt hinge-nommen werden, hatte einst das Überleben der Vampire garantiert, als die Sintflut die Welt verschlungen und alles Leben auf ihr er-tränkt hatte, das keinen Schutz in der Arche Noahs gefunden hatte.

Die Alte Rasse hatte zeitgleich mit dem gerechten Mann ein gewaltiges Schiff erbaut, in dem sie der Zorn Gottes nicht erreicht hatte. In dieser Dunklen Arche hatten sich die Vampire mittels der Opferschlange vom Blut ihrer lebenden ›Bordverpflegung‹ ernährt. Doch woher der Schlangenstab kam, welche Macht ihm innewohnte, warum er lange verschwunden war und gerade jetzt wieder auftauchte – auf all diese Fragen gab es keine Antworten.

Und insgeheim hegte Tanor wenig Hoffnung, daß Sahya Patnaik sie finden würde.



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